Die Geschichte von Rüdiger und der kleinen Wolke

 

„Uuih, uuih, uuih.“ ..... „Uuih, uuih, uuih. Uff. ..... Hmmh. Nee, das Loch ist immer noch nicht groß genug.“
"Rüdiger! Rüdiger! Das Essen ist fertig!“
„Uuih, uuih, uuih. Uff. ..... Puuh.“
„Rüdiger! Wo bist du denn nur schon wieder!? Die Kartoffeln werden noch kalt.“

Rüdiger, der kleine Kartoffelkäfer, unterbrach seine Bemühungen, ein Loch im Garten zu buddeln und schaute in die Richtung, aus der die Stimme seiner Kartoffelkäfermama kam. Noch ganz außer Puste rief er zurück: „Gleich, Mama! Bin schon auf dem Weg!“
„Na, das kennen wir ja“, sprach die Kartoffelkäfermama mehr zu sich selber und ging durch die kleine Eingangstür zurück in das kleine Kartoffelkäferhäuschen, wo der Kartoffelkäferpapa schon ungeduldig am Küchentisch saß. Die Kartoffeln dampften verlockend.
Rüdiger war unterdessen immer noch damit beschäftigt, ein Loch zu buddeln. Damit der kleine Spiegel, den er gefunden hatte, auch ja in das Loch passte. Der Kartoffelkäfer mühte sich nach Kräften.
Er sammelte leidenschaftlich gerne alles, was er am Wegesrand und sonst wo unter Steinen und Laub verborgen aufstöberte. Überall im Garten verteilt hatte Rüdiger etliche Verstecke für all die Fundstücke angelegt. Blöd war nur, dass er das meiste, was er stets sorgfältig verbuddelte, nicht wiederfand. Dafür stieß Rüdiger beim Suchen der eigens angelegten Verstecke oftmals auf andere, neue Dinge, die er seiner Sammlung hinzufügen konnte.

Wer weiß, wofür ich all die Sachen einmal gebrauchen kann, erklärte Rüdiger seiner Mutter immer dann, wenn sie wieder einmal der Verzweiflung nahe ihren Sohn für andere Interessen gewinnen wollte. „Wo soll denn das noch hinführen, Rüdiger?“
Dieser schaute dann immer ganz schuldbewusst zu Boden, in Gedanken turnte er jedoch meist schon wieder im Garten herum, wo es doch so viele spannende Dinge gab.

Der Kartoffelkäferknirps unterbrach seine Buddelei. Er sollte sich lieber beeilen, schnell zu seinen Kartoffelkäfereltern zu huschen, überlegte Rüdiger. Sonst würde die Mama noch böse werden. Hunger hatte er auch. Das Gebuddele war aber auch ganz schön anstrengend. Nur, das Loch, was er bisher gegraben hatte, reichte noch nicht aus, den Spiegel zu verstecken.

Rüdiger kratzte sich kurz an seinem Kopf, schaute sich in dem Garten um und wurde fündig. Er wuchtete hastig ein paar Blattreste über den noch halb aus dem Loch ragenden Spiegel und begutachtete sein Werk. „Na ja. Fürs erste wird’s wohl reichen.“
Mehr oder weniger zufrieden krabbelte er über den Boden des Gartens, flitzte in das Kartoffelkäferhäuschen und hüpfte auf seinen Stuhl am Esstisch. Das Mittagessen duftete köstlich. Genüsslich vertilgte die Kartoffelkäferfamilie die angerichteten Kartoffeln.

Oben am Himmel kam zur selben Zeit die Sonne hinter einer großen Wolkenfront hervor. Die großen und kleineren Wolken glitten erhaben, ja, geradezu majestätisch im Pulk durch die Luft und machten sich gerade auf, allesamt ihre Reise fortzusetzen. Sogleich zeigte sich der Himmel von seiner himmelblausten Seite.  Einige wenige Vögel kreisten und kreischten wie toll in der Luft umher, um aber schon bald ein schattiges Plätzchen in dem Schutz des nahe gelegenen Waldes aufzusuchen. Es war Zeit für ein Mittagsschläfchen.

Auch die Kartoffelkäferfamilie machte keine Anstalten, nach dem leckeren Mittagessen die friedliche Ruhe stören zu wollen. Der Kartoffelkäferpapa machte es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem, gähnte einmal herzhaft, streckte sich dabei ausgiebig und war auch schon eingeschlafen. Die Kartoffelkäfermama setzte sich derweil in einen gemütlichen Ohrensessel und blätterte in einem dicken Kochbuch mit unzähligen Kartoffelrezepten.

Rüdiger hingegen wollte nicht still im Häuschen herumsitzen. Aber das sollte er auch gar nicht, befand die Kartoffelkäfermama. Sie hatte ihn angehalten, endlich einmal sein Kinderzimmer aufzuräumen. Und zwar umgehend, sobald das Mittagessen vorbei war. Widerwillig stapfte er die Treppe hinauf in den ersten Stock. Das passte Rüdiger so gar nicht, wollte er doch lieber endlich den Spiegel im Garten verbuddeln.

In seinem Zimmer angelangt schaute sich der Kartoffelkäferknirps um. Er befand den Zustand als durchaus annehmbar. „Von wegen Unordnung“, murmelte er vor sich hin. Dennoch hob er mal hier, mal dort umherliegendes Spielzeug auf oder schob es von links nach rechts und von rechts nach links, mal in die eine, mal in eine andere Ecke, stopfte einige der Sachen in einen Schrank und war zufrieden.

„Das sollte ja wohl reichen“, beschloss Rüdiger. Er schaute aus seinem kleinen Fenster hinüber in den Garten. Hinter einem Löwenzahn ganz am Ende des Gartens lag der Spiegel. Aber nur halb verbuddelt. Nicht auszudenken, wenn den jemand finden würde! Rüdiger flitzte die Treppe hinunter und stürzte in den Garten.

Der Kartoffelkäferknirps atmete erleichtert auf, als er bei dem provisorischen Versteck ankam. Die Blattreste lagen noch genauso, wie sie Rüdiger über den Spiegel gelegt hatte. Der Spiegel war noch da. Niemand hatte ihn entdeckt, geschweige denn mitgenommen. Der Kartoffelkäfer wollte sich gerade daran machen, weiter an dem Versteck zu arbeiten, da bemerkte er, wie heiß es mittlerweile gworden war. Die Sonne schien unnachgiebig. Rüdiger blickte hinauf. Am Himmel konnte er keine noch so kleine Wolke entdecken, die Schatten hätten spenden können. Nicht einmal ein laues Lüftchen wollte sich einstellne. Kein Rascheln der Blätter in den Bäumen. Der Käfer guckte sich um. Kein Halm, der sich rührte, sich im Wind wog. Rüdiger stöhnte. Nur langsam kam er voran. Behutsam hatte er zunächst den kleinen Spiegel aus dem noch viel zu kleinen Loch herausbugsiert, um weiter an dem Loch buddeln zu können.

Plötzlich vernahm Rüdiger ein Geräusch. War es eine Stimme? Rief da jemand? Der Kartoffelkäferknirps schüttelte seinen Kopf. Nein, es war eher eine Art Fiepen. Ganz hell, kaum hörbar.
„Häh?! Was ist denn das?!“
Der eifrige Buddler unterbrach seine Grabungen und blickte um sich. Niemand war in der Nähe, der diese Geräusche hätte machen können. Rüdiger war unsicher, zuckte dann aber nur kurz mit seinen schmalen Schultern. Er hatte sich das Fiepen wohl nur eingebildet und buddelte er erst einmal weiter.

Doch da! Da war es wieder! Wo kam dieses Geräusch denn bloß her?! Rüdiger drehte sich mehrmals im Kreis, bis ihm ganz schwindelig wurde. Er verlor das Gleichgewicht und plumpste mit dem Rücken auf den Boden. Nun schaute er gezwungenermaßen wieder hinauf zum Himmel. War dort nicht etwas?

„Ja, aber natürlich!" rief Rüdiger. Eine klitzekleine Wolke. Ganz klitzeklein und weiß. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Und da hörte er es auch schon wieder. Dieses leise Wimmern. Ja, es war ein ganz leises Wimmern. Es war die kleine Wolke, die dort am Himmel vor sich hin jammerte.

Die Wolke schien verängstigt zu sein, stellte Rüdiger immer noch auf dem Rücken liegend fest. „Was hat die kleine Wolke denn nur?" fragte sich Rüdiger. In seiner Stimme lag Verwunderung. Was machte die Wolke da oben am Himmel nur ganz mutterseelenalleine? Der Kartoffelkäfer ahnte, wie töricht diese Frage war.
„Na klar," rief er aus. „Die Wolke ist traurig, eben, weil sie alleine ist!"
Der Kartoffelkäfer freute sich, dass er des Rätsels Lösung so schnell gefunden hatte. Ihm kam aber auch sogleich in den Sinn, dass sein Verhalten wohl ein wenig unpassend war. Während er sich hier unten gerade freute, war da am Himmel diese kleine Wolke und war ganz offensichtlich traurig. Der Kartoffelkäferknirps schämte sich beinahe ein bisschen. Viel mehr Zeit blieb ihm jedoch nicht, sich weitere Gedanken über die kleine Wolke zu machen. Denn im selben Augenblick setzte sich die kleine Wolke in Bewegung.

Anstatt aber, wie es Rüdiger von Wolken bislang gewohnt war, erhaben durch die Lüfte zu gleiten, raste diese Wolke auf direktem Weg hinab Richtung Erde. Die Wolke wurde schneller und schneller und raste direkt auf den kleinen Rüdiger zu. Vor lauter Angst sah dieser sich außerstande, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Mit weit geöffneten Augen lag der Kartoffelkäferknirps nur weiter auf dem Rücken und war zu keiner Bewegung fähig. Was passierte hier denn nur?!

Die kleine Wolke hatte tatsächlich Angst. Rüdiger lag mit seiner Vermutung goldrichtig. Sie hatte sich plötzlich ganz alleine am Himmel wiedergefunden. Die anderen Wolken waren wie vom Erdboden verschluckt. Auch wenn sich Wolken ja eher hoch oben am Himmel aufhielten.

„Wo bin ich hier nur?“ fragte sich die kleine Wolke. Was sollte sie nur machen? Hilflos und unsicher schloss sie zunächst ihre Augen. Nach einer Weile traute sie sich, die Augen wieder zu öffnen und blickte um sich. Doch die anderen Wolken blieben verschwunden. So verhielt sie sich ganz still, wollte sie doch kein Aufsehen erregen. Wer weiß, was dann passieren würde, dachte sich die kleine Wolke. „Wenn ich doch nur wüsste, wo ich hier gerade bin.“ Sie schaute verstohlen um sich. „Und wo sind denn nur all die anderen Wolken?“ Sie versuchte, mucksmäuschenstill zu sein, wimmerte aber schon bald, wenn auch leise vor sich hin und vergoss auch ein paar Tränen, die jedoch unbeachtet auf die Erde fielen.

Auf einmal wurde die Wolke geblendet. Sie blinzelte und konnte für einen kurzen Moment gar nichts mehr sehen. Die Sonnenstrahlen trafen nämlich auf Rüdigers Spiegel im Garten, wurden von dort abgelenkt und setzten sogleich ihren Weg fort hinauf zu der kleinen Wolke. Die Wolke erschrak sich und verlor das Gleichgewicht. Sie kam ins Trudeln und sauste im Sturzflug hinunter zur Erde. Mit direkten Kurs auf den kleinen Kartoffelkäfer.

„Vorsicht! Achtung! Hallo! Hier liegt jemand!“ Rüdiger schrie so laut er konnte. Die Wolke aber war mindestens genauso aufgebracht wie der am Boden wild gestikulierende Rüdiger. Die kleine Wolke nahm gar nicht wahr, was um sie herum passierte. Orientierungslos sauste sie zunächst immer schneller werdend mit zusammengekniffenen Augen auf den Kartoffelkäferknirps zu. Rüdiger schrie weiter. „Hey! Achtung! Vorsicht!“
Er war zwar immer noch ängstlich, wurde nun aber auch ein wenig wütend. Die kleine Wolke nahm offenbar keine Notiz von ihm. Eine Frechheit, so befand es Rüdiger und er schrie noch lauter. So laut er nur konnte und auch gleich noch ein wenig lauter.

Da endlich besann sich die Wolke, öffnete wieder ihre Augen und sah das drohende Unheil, was kaum noch abzuwenden war. Sie erinnerte sich daran, was sie in der Wolkenschule gelernt hatte, und versuchte zu wenden. Das Manöver mislang jedoch vollkommen. Die Wolke überschlug sich mehrere Male in der Luft, versuchte zu bremsen, rauschte beinahe in die Baumkrone einer Buche, schlug wilde Haken, hatte schon alle Hoffnungen fahren lassen, bremste verzweifelt weiter und kam tatsächlich noch unmittelbar über dem fassungslosen Rüdiger zum Stehen. Zitternd rang sie nach Luft.

„Hallo, du“, brachte sie nur zögerlich heraus.
„Äh, ja, hallo.“ Mehr fiel zunächst auch dem Kartoffelkäfer nicht ein.
„Bist du immer so schnell unterwegs?“ wollte Rüdiger dann wissen.

Und schließlich sprudelte es aus der Wolke heraus. Sie achtete nicht darauf, dass Rüdiger immer noch direkt unter ihr auf dem Rücken lag. Sie konnte nicht mehr an sich halten und erzählte ihre ganze Geschichte.
Sie erzählte, wie sie zum ersten Male mit all den anderen Wolken unterwegs sein durfte. Sie hätte sich gar nicht satt sehen können an all den Dingen, die sie von oben bestaunen konnte. Und einmal hatte sie dann nicht aufgepasst, geriet in einen kleinen Wirbel und wurde in hohem Bogen durch die Luft und über all die anderen Wolken hinweg nach vorne getragen. Aber weil sie ja nun einmal eine sehr kleine Wolke sei, haben die anderen Wolken das allesamt gar nicht mitbekommen. Und so fand sie sich unbemerkt an der Spitze all der Wolken wieder. Sie fühlte sich zunächst aber erst einmal richtig groß. Sie, die kleine Wolke, flog in vorderster Front. Sie sei dann aber wohl ein wenig übermütig geworden, gab sie zerknirscht zu. Und sie habe dann nicht mitbekommen, dass die übrigen Wolken in eine andere Richtung weitergeflogen sind. Als sie das gemerkt hatte, wusste sie sich nicht zu helfen, wurde plötzlich geblendet, verlor die Kontrolle und sauste hinunter zur Erde. „Und hier bin ich also“, endete die kleine Wolke ein wenig abrupt und zugleich verlegen.

„Herzlich willkommen bei uns im Garten“, entgegnete Rüdiger. „Äh, würde es dir etwas ausmachen, wenn du etwas Platz machst? Damit ich wieder aufstehen kann?“
„Oh, entschuldige bitte. Natürlich.“
Mit einem kleinen, aber gekonnten Manöver bewegte sich die Wolke ein wenig zur Seite. Rüdiger machte sich in der Zwischenzeit schon Gedanken, wie er der Wolke helfen könnte.

„Weißt du denn gar nicht, wo die anderen Wolken hingeflogen sind?“
Die Wolke schüttelte ihren kleinen flauschigen Kopf.
Rüdiger schaute sich die unfreiwillige Besucherin genauer an.
„Darf ich mal?“ fragte der Käfer. Die Wolke guckte irritiert und verstand zunächst nicht, was der Kartoffelkäfer meinte. „Äh, ich wollte fragen, ob ich dich mal anfassen darf? Nur ganz kurz.“
Die Wolke fühlte sich geschmeichelt und vergaß für einen Moment ihre missliche Lage. „Ja, gerne. Aber sei bitte vorsichtig. Ich bin kitzelig.“
Der Kartoffelkäfer versprach acht zu geben und tastete sich langsam mit seinen kleinen Händen vor.
„Das fühlt sich richtig schön weich an. Und warm. Hmmh. Flauschig wie ein Kopfkissen.“ Die Wolke guckte ein wenig pikiert. „Ich bin doch kein Kopfkissen.“
„Oh, entschuldige bitte. So habe ich das nicht gemeint. Das sollte ein Kompliment sein.“
Da lächelte die kleine Wolke zaghaft. Neugierig geworden fragte sie: „Und du? Wer bist du?“ „Ich? Ich bin Rüdiger. Wir leben dort drüben. Am anderen Ende des Gartens. In unserem Kartoffelkäferhäuschen. Meine Eltern und ich.“

Die Wolke war irritiert. Von Kartoffelkäfern hatte sie zuvor noch nie gehört. Aber Rüdiger schaute so stolz und erwartungsvoll, dass die Wolke ein bedeutungsvolles Gesicht machte und ihm zu seinem schönen Zuhause beglückwünschte.
Die Wolke dachte nach und seufzte. Zuhause. Wenn sie doch nur wüsste, wo die anderen Wolken gerade wären. Sie guckte wieder ganz bedröppelt drein.

Rüdiger überlegte, wog seinen Kopf hin und her und fiel vor lauter Aufregung beinahe wieder auf seinen Rücken. Er hatte eine Idee!
„Warte hier, ich komme gleich wieder! Rühr’ dich nicht vom Fleck!“ Sprach’s und sauste durch den Garten in das Kartoffelkäferhäuschen. Die Wolke machte sich derweil noch kleiner als sie ja ohnehin schon war und verhielt sich mucksmäuschenstill.

„Papa, Papa! Wach auf!" Der Kartoffelkäferpapa setzte sich erschrocken kerzengerade auf und fiel beinahe von dem Sofa. Die Kartoffelkäfermama schaute aus ihrem Buch hervor und guckte ihren Sohn vorwurfsvoll an. „Junge, was ist den nun schon wieder?! Hast du zu viel Hitze abbekommen? Deinen Papa so zu erschrecken."
Doch Rüdiger achtete nicht auf seine Mama. Dafür war jetzt keine Zeit.
„Papa, wo ist denn die Zeitung von heute?"
Der Kartoffelkäferpapa war immer noch ein wenig benommen. „Wie? Was?" Er blickte seinem Sohn verwirrt in das Gesicht und seufzte dann nur. „Dort drüben. Dort auf dem Tisch. Aber was hast du denn, mein ....". Ehe der Kartoffelkäferpapa den Satz beendet hatte, flog Rüdiger schon wieder mitsamt der Zeitung aus dem Zimmer, sauste durch den schmalen Flur und eilte zurück in den Garten, wo sich die kleine Wolke immer noch ganz still verhielt.
Die Kartoffelkäfereltern schauten sich kurz an und schüttelten ihre Köpfe. Nichts als Flausen hatte der Junge im Kopf.

„Und? Weißt du, wo die anderen Wolken sind?“ fragte die kleine Wolke, als Rüdiger mit der zerknitterten Zeitung in der Hand noch ganz ausser Atem wieder bei der Wolke ankam. In den Worten der Wolke schwang Hoffnung, zugleich aber auch ein wenig Angst mit.
Der Kartoffelkäferknirps blätterte unterdessen nur eifrig in der Zeitung, ohne der kleinen Wolke gleich zu antworten.
„Hier! Hier steht es!“ jubilierte Rüdiger. „Der Wetterbericht. Schau mal, kleine Wolke. Hier solltet ihr heute Vormittag gewesen sein. Also hier. Hier, wo wir jetzt sind.“

Die Wolke guckte auf die Karte in der Zeitung und nickte heftig. „Ja, dann weiß ich, wo wir hier sind.“
„Und guck“, fuhr Rüdiger fort, „jetzt solltet ihr .... hmmh .... der Wind kommt aus dieser Richtung .... hmmh .... ja .... deine Freunde sollten jetzt wohl ungefähr hier sein. Dort im Westen. Siehst du?“
Die Wolke nickte wiederum eifrig. Ja, sie wisse nun, wo die anderen Wolken wohl gerade wären. Sie konnte es gar nicht abwarten, sich auf den Weg zu machen.

Aber Rüdiger bedeutete ihr, noch einen Moment zu warten. „Ich hab’ da noch etwas für dich. Damit du deine Freunde nicht wieder aus den Augen verlierst.“
Rüdiger schnappte sich den kleinen Spiegel und reichte ihn der kleinen Wolke. „Hier. Damit kannst du immer gucken, was hinter dir passiert. Und blenden tut der Spiegel dich dann auch nicht mehr.“ Der Kartoffelkäferknirps grinste. Auch die Wolke kickste da vergnügt.

„Ich danke dir, Rüdiger. Das werde ich dir nie vergessen.“ „Ach was,“ versuchte der Kartoffelkäfer das Ganze abzutun. „Ihr seid doch so schön anzusehen. Da oben am Himmel. Und Schatten spendet ihr auch. Da ist es doch an der Zeit, das wir hier unten auch einmal etwas für euch tun.“

Die Wolke nahm den Spiegel an sich und pustete dem kleinen Kartoffelkäfer zärtlich in sein Gesicht. Von nun an würde sie stets gut sehen können, was hinter ihr passierte. Sie lächelte dem Kartoffelkäfer zum Abschied herzlich zu. Dann machte sich die kleine Wolke auf, den anderen Wolken hinterherzueilen.

Der Kartoffelkäfer winkte der Wolke noch lange nach. Selbst als die Wolke schon gar nicht mehr zu sehen war. Er blickte hinüber zu dem eigens für den Spiegel angedachten Versteck, das er so mühselig gegraben hatte, und seufzte.

„Na ja“, murmelte Rüdiger vor sich hin, „ich werde bestimmt irgendetwas anderes finden, das ich da drin verstecken kann.“ Schon wühlte Rüdiger sich durch den Garten. Auf der Suche nach neuen Schätzen, die er irgendwann einmal gebrauchen könnte. So wie den Spiegel. Sofort dachte er wieder an die kleine Wolke, deren Bekanntschaft er gemacht hatte, weil sie sich verirrt hatte und von dem Spiegel geblendet worden war.

Während Rüdiger im Garten herumwühlte, flog die kleine Wolke zielstrebig in die Richtung, in der die anderen Wolken nach Rüdigers Berechnungen vorausgeeilt waren. Sie vertraute dem Kartoffelkäfer und sollte damit auch Recht behalten. Bald zeichnete sich in der Ferne ein flauschiges Band prächtiger Wolken ab, die sich allesamt über den Himmel verteilt auszuruhen schienen. Die kleine Wolke pustete erleichtert durch. Sie hatte es geschafft. Sie nahm den Spiegel und lenkte ein paar Sonnenstrahlen in Richtung der anderen Wolken. Diese konnten sich zunächst keinen Reim darauf machen, was sie da gerade blendete. Dann aber quiekten die ersten Wolken vergnügt durcheinander, denn sie hatten die kleine Wolke erkannt. Mittlerweile wurde sie auch schon vermisst und man wollte gerade beratschlagen, wie man die Suche nach der kleinen Wolke angehen sollte.
Glücklich und stolz kam sie mit dem Spiegel winkend angeflogen. Alles musste sie erzählen und sie erzählte es gerne.

Und immer wenn seitdem am Himmel hoch oben die Wolken umhersausen und es prächtig funkelt, dann macht unten im Garten vor dem Kartoffelkäferhäuschen der Kartoffelkäferknirps einen Freudensprung und winkt den Wolken lustig zu.

 

© 2005   Ralf Weidel

Und hier geht's zurück zur ersten Seite

©  Teddy vom MOnd 

Webstatistik